Prostitution – Doku zeigt die Wahrheit

Anfang März 2021 wurde auf 3sat die Wissenschafts-Dokumentation „Prostitution: Kein Job wie jeder andere“ ausgestrahlt. Wir haben die wichtigsten Inhalte davon zusammengefasst:

Obwohl die Sendung sich mit Prostitution in Deutschland beschäftigt, spiegelt sie die österreichische Situation wider. Aufgrund der ähnlichen Rechtslage ergibt sich hierzulande die gleiche Problematik. Insbesondere Wien war als Dreh- und Angelpunkt von Menschenhandel in Verbindung mit Osteuropa in den Schlagzeilen.

 

Prostitution trotzt Corona – Lokalaugenschein in Essen

Der Film wurde während der Corona-Pandemie gedreht. Aus Hygienegründen war Prostitution somit untersagt, aber nicht alle halten sich daran. Auf dem Straßenstrich in Essen sind weniger „Sex-Arbeiterinnen“ anzutreffen. Wer die finanziellen Mittel hatte, fuhr in die Heimat. Frauen spazieren unauffällig umher und warten auf Kundschaft – verrichtet wird in Autos, auf der Parkanalage oder im Gebüsch – illegal.

Ehrenamtliche, die den Frauen hier helfen, berichten, dass Freier aus allen gesellschaftlichen Schichten hierhin kommen. Dies lässt sich schon vom diversen Erscheinungsbild der Fahrzeuge ableiten. Eine weitere Erkenntnis der Helferinnen ist besonders erschütternd: Frauen, die am Strich „arbeiten“, tun es aus Alternativlosigkeit. Sie sind meist schlecht ausgebildet, wurden früh von der Schule genommen und oft ins Ausland geschickt, um Geld für die Familie zu verdienen. Sie kommen vorwiegend aus Osteuropa, leiden unter Drogensucht oder kämpfen mit Geldproblemen.

 

Deutschland ist das Bordell Europas

In Deutschland bieten schätzungsweise 400.000 Menschen Sex gegen Geld an, aber nur 40.400 davon sind registriert. Soziale Regulatorien versagen – die wenigsten am Straßenstrich in Essen haben eine Krankenversicherung. Nach Schätzungen des deutschen Bundes-Familien-Ministeriums suchen 1,2 Mio. Männer regelmäßig Prostituierte auf – das Angebot weckte die Nachfrage.

Der ursprüngliche Ansatz von legaler Prostitution wollte unterstützen, Frauen aus der Stigmatisierung holen und in ein soziales Netz einbinden. 20 Jahre nach der Liberalisierung zeigt sich jedoch, dass nur ganz wenige Prostituierte sozial- oder krankenversichert sind und das bei einer körperlich wie seelisch zerstörerischen Tätigkeit. Die geschaffenen Rahmenbedingungen wirken nicht und „Deutschland ist das Bordell Europas“ geworden, meint die deutsche SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier.

 

Frauen als „Ware mit Rückgabegarantie“

Kriminaloberrat Helmut Sporer war zuständig für die Bekämpfung von Menschenhandel und die Überwachung von Prostitution. Sein Fazit: „Es ist immer wieder zu hören, dass Prostitution und Menschenhandel zu trennen sind. Aus meiner jahrzehntelangen praktischen Erfahrung kann ich sagen: Es lässt sich nicht trennen… es gehört weitgehend zusammen.“

Im Hintergrund kooperieren Bordellbetreiber mit Menschenhändlern – Frauen werden als „Ware“ bezeichnet sowie nach Größe und Haarfarbe bestellt. Oftmals werden Frauen sogar mit „Rückgabegarantie“ geliefert! Der Kriminalbeamte beobachtete, dass durch die Liberalisierung des Sex-Kauf in Deutschland neue Typen von Bordellen entstanden. So wurde in FKK-Clubs mit 30 ständig vorrätigen Frauen geworben. Während Anfang der 90er-Jahre keine „Sex-Arbeiterinnen“ aus dem Ausland kamen, sind nun über 90% der Prostituierten Ausländerinnen.

Eine Sozialarbeiterin bestätigt ebenso, dass Frauen permanent durch ganz Europa geschleust werden. Man hält sie in Bordellen fest und verkauft sie unter Zuhältern billiger weiter, wenn sie zu alt werden und nicht mehr so viel Geld bringen.

 

Betroffene erzählen von Gewalt, Drogen & Armut

Besonders wachrüttelnd sind die Berichte von ehem. Prostituierten in der Dokumentation. Alina fiel im Alter von 22 Jahren in die Hände von Menschenhändlern. Drei vermeintliche Freunde köderten sie mit einem lukrativen Job – dahinter stand ausbeuterische „Sex-Arbeit“.

„Ich habe mich richtig geschämt, als der erste Freier im Zimmer war. Wusste nicht genau was ich machen soll, wie ich mich verhalten soll. Dann habe ich geweint, bin aus dem Zimmer raus und dann habe ich da die erste Ohrfeige gekriegt… Und dann hab ich innerlich gedacht: Okay, das ist mein Ende jetzt. Schicksal. Das ist mein Leben. Da bin ich jetzt gefangen.

Alina lebte unter ständiger Angst und wurde rund um die Uhr überwacht. Heute will sie nicht mehr darüber nachdenken, bekommt die Bilder aber nicht mehr aus dem Kopf.

 

Bis zu 20 Freier am Tag

Sandra war über 6 Jahre in der Prostitution gefangen. Aufgrund familiärer Probleme war ihr einziger Bezugspunkt eine vermeintliche Liebes-Beziehung. Der „Freund“ bat sie, Freier zu nehmen, um ihm aus den Schulden zu helfen. Durch diese Masche rutschte die Deutsche ins Rotlicht-Geschäft.

Nachdem sie bis zu 20 Freier täglich über sich ergehen ließ, musste sie auch im selben Zimmer schlafen – bei Gestank nach Sperma und Kondomen. Anfangs hatte sich Sandra richtig geekelt, doch durch die Gewalt ging dieses Gefühl immer mehr verloren. Sie wurde als Persönlichkeit gebrochen, wie sie erzählt: „Der Geldschein ändert nicht deine Gefühle… Ekel, Trauer, bleibt ja alles…“

 

Traumatische Erlebnisse in der Jugend

Jasminas Mutter wurde vergewaltigt und wollte des Öfteren Selbstmord begehen; zu Hause gab es viel Gewalt und der Vater war Alkoholiker. Mit 14 Jahren wurde Jasmina zweimal vom selben Mann vergewaltigt. Weil sie damit nicht umgehen konnte, begann sie zu trinken und im Alter von 15 Jahren sich zu prostituieren.

Sie arbeitete unter anderem in Bordellen in Österreich. In der Schweiz wurde sie zum Sex gezwungen und dem Besitzer war ihre Meinung gleichgültig. Relevant war lediglich wie viele Freier sie befriedigt hatte, als das Bordell um 8 am Morgen schloss. Die Rumänin wollte mehrfach aussteigen, dank einer schwedischen Hilfsorganisation gelang es ihr schließlich nach 10 Jahren.

 

Staat & Gesellschaft schauen weg

Die Leiterin einer Beratungsstelle bestätigt die häufig komplexen Lebensbiografien und post-traumatischen Belastungsstörungen als Ursache für den Einstieg in die Prostitution. Die traumatischen Erlebnisse der Jugend werden hier wiederholt. Hauptsächlich werden Frauen mit falschen Vorstellungen im Herkunftsland angeworben. Dann werden sie in die Bordelle gebracht und müssen dort arbeiten, von selbst kommt niemand dorthin. Der Ausstieg wird immer schwieriger, da die Gewaltspirale immer weiter geht. Gegen die Gewalterfahrung können sie sich dann nicht mehr wehren. Eine freie Entscheidung für oder gegen diese Tätigkeit ist oft nicht mehr möglich.

 

Psychische Folgen wie aus dem Krieg

Frauen, denen der Ausstieg gelingt, kommen von den Erfahrungen vorwiegend nicht los. Sie entwickeln ähnliche Symptome wie Militärs, die vom Krieg heimkehren. Ein normales Leben können sie nicht mehr führen.

Der Psychiater Lutz Besser behandelte viele Aussteigerinnen. Seine Erfahrung zeigt, dass eine Frau, die aus Zwängen der Prostitution nachgeht und als Sklavin gehalten wird, Erniedrigung und Entwürdigung erlebt. Dadurch kommt es zu einer Abspaltung vom Bewusstsein und sie macht sich selbst zum leblosen Objekt.

Der Facharzt für Gynäkologie Wolfgang Heide berichtet, dass Frauen Männern ausgeliefert sind, die schlimme Dinge mit ihnen tun, bis hin zu Fäkalien-Spielchen. Weil alles erlaubt ist, wird alles gemacht.

„Meine Erfahrung ist eben, solange irgendetwas erlaubt ist, solange wird es getrieben. Ohne Rücksicht auf Verluste. Da sind genug Männer unterwegs, die gar keine Grenzen kennen.“ 15 Freier am Tag führen zwangsläufig zu schweren seelischen und körperlichen Schäden – laut dem Experten geht das gar nicht anders in diesem Bereich.

 

Nordisches Modell

Dass es anders gehen kann zeigt Schweden, dort gilt seit 1999 das Nordische Modell: Freier und Bordellbetreiber werden bestraft, Prostituierte wurden entkriminalisiert sowie Ausstiegsprogramme forciert. Parallel erfolgte eine große Aufklärungskampagne für die Bevölkerung. Die Strategie hat sich bewährt: Seit 1999 gab es keinen Mord an Prostituierten.

Menschenhandel ist erheblich zurückgegangen und nach einer aktuellen Umfrage unterstützen über 80% der Schweden das Sexkauf-Verbot. Diesem positiven Beispiel wollen immer mehr Länder folgen. Das EU-Parlament stellte bereits 2014 fest, dass auch freiwillige Prostitution die Menschenrechte verletzt. Davon unbeeindruckt zeigen sich bisher Deutschland, Schweiz, die Niederlande und Österreich – hier werden keine Verbesserungen in Aussicht gestellt.

Schweden hat erkannt, dass es keine Gewalt von Männern gegen Frauen geben sollte. Ein Ende der Prostitution ist ein großer Schritt in Richtung Frauenrechte. Der frühere Sonderbotschafter gegen Menschenhandel in Schweden hielt fest:

„Wir werden nie den Menschenhandel erfolgreich bekämpfen können, wenn es in Europa oder anderswo noch legale Prostitution gibt.“

 

In der 3sat-Mediathek kann die gesamte Sendung nachgesehen werden:

https://www.3sat.de/wissen/wissenschaftsdoku/210304-prostitution-wido-104.html